Schülerbeurteilungen im Jahre 1818
1. Drei Papierbruchstücke
Kürzlich brachte mir mein Cousin Franz Elmiger, Surseee, drei Papier-Bruchstücke, säuberlich aufgeklebt auf drei Kartons. Das grösste dieser Bruchstücke trägt den Titel „Tabellarische Übersicht von dem Fleisse und sittlichen Betragen der Kinder in der Schule zu Ermensee, welche angefangen den 17. Wintermonat 1818 und aufgehört hat den…“. Es handelt sich um die Beurteilung einer unbekannten Zahl von Schülern der „Schule zu Ermensee“. Auf dem Bruchstück sind sechzehn Namen aufgeführt. Die Familiennamen der Schüler: Elmiger (9), Jung (2), Kaufmann, Lang, Lüthi, Müller, Willi (je 1) Sie besuchten das fünfte, sechste und siebte Schuljahr und waren im Alter von acht bis fünfzehn Jahren.
Beurteilte Lehrgegenstände sind: Christentum (heute würden wir wohl eher Religionslehre schreiben), Diktando-Schreiben, Schreiben, Rechtschreiben, Rechnen, Lesen des Gedruckten, Lesen des Geschriebenen, Kopfrechnen, Kopfbuchstabieren, Buchstabieren, Erklärung des Gelesenen, Sprachlehre.
Auf einem zweiten Bruchstück, das nur die untere Hälfte einer Seite umfasst, finden sich die Familiennamen Thali (4), Lang (2), Rast und Eggstein. Das dürften Kinder „vom Berg“ (Retschwil, Laufenberg) sein. Unten auf der Seite findet sich die Bemerkung, nebst den genannten Kindern hätten weitere acht die Schule besucht
Das dritte Bruchstück, von einer andern Hand geschrieben, führt Kinder mit folgenden Familiennamen auf: Peter (6), Oehen (5), Grether (1), Grossmann (1), Buchmann (2), Troxler (1). Die Tabelle, die sich auf den beiden andern Bruchstücken vorgedruckt findet, ist auf diesem dritten Bruchstück handschriftlich gezeichnet. Die beurteilten Fächer sind die gleichen. Die hier genannten Kinder dürften aufgrund der Familiennamen (Peter, Oehen) aus Lieli stammen.
2. Fundort; mögliche Entstehung
Robert Kretz, der meinem Cousin die drei Bruchstücke übergab, wuchs in Hochdorf auf, besuchte hier die Volkschulen, durchlief anschliessend das Lehrerseminar Hitzkirch, bildete sich weiter und war am Ende seiner Berufstätigkeit Professor für Anatomie an der Universität Freiburg.
Über seinen Fund schreibt Robert Kretz am 20. Juli 2024: In Hitzkirch stand eine Abfallmulde auf dem Lindenplatz, weil ein Haus renoviert wurde (Jahre 1964-1966; ich kann das Jahr nicht genauer eingrenzen). Die Hausverkleidung (vermutlich Schindeln) wurde entfernt und darunter fanden sich als Abdeckung diese Papierfundstücke. Als angehenden Lehrer haben mich diese Fragmente aus dem Schulalltag fasziniert und so habe ich sie aus der Mulde mitgenommen“.
Wer sind nun wohl die Verfasser dieser Blätter? Das dürften die Herren Inspektoren sein, und dies waren, wie einem Schreiben von Regierungsrat und Schultheiss Eduard Pfyffer vom 8.
Wintermonat 1819 entnommen werden kann, überall Pfarrherren (Das Schreiben bildet den
„Anhang A“ in: Alois Häfliger, Schultheiss Eduard Pfyffer 1782-1834, Förderer des Luzerner Schulwesens, Willisau 1975; Freiburger Dissertation).
Im Anhang G 2 in Häfligers Dissertation findet sich ein „Namentliches Verzeichnis der Oberschulinspektoren und ihrer Adjunkten“ für die Jahre 1806-1830. Oberschulinspektor für den Gemeindegerichtskreis Hochdorf, Eschenbach, Hitzkirch und Schongau war 1806 bis 1818 Jost Bernhard Häfliger, Pfarrer und Dekan in Hochdorf. Sein Nachfolger von 1819 bis 1830 war Josef Blum, Kaplan zu St. Peter und Paul, Hochdorf. Adjunkten waren Johann Heinrich Troxler, Pfarrer in Hohenrain (1807-1811) und Josef Anton Meyer, Pfarrer in Hitzkirch (1820-1830)
Vom Datum her kommen die beiden Adjunkten als Verfasser der Beurteilungen aus dem Jahre 1818/19 an sich wegen ihrer Amtsdauern nicht in Frage. Ganz auszuschliessen ist es aber nicht, denn Josef Anton Meier leitete die Pfarrei Hitzkirch von 1809 bis 1831 (Franz Wey, Die Deutschordenskommende Hitzkirch, Luzern 1923, S. 183). Möglicherweise schrieb er die Blätter über die Schulen in Ermensee und Retschwil.
Verfasser des Blattes, in dem die Kinder von Lieli beurteilt werden, könnte der Pfarrer von Kleinwangen sein, denn Lieli war in der „Abkurung“ von 1806 von der Pfarrei Hitzkirch abgetrennt und jener von Kleinwangen zugeteilt worden. Kleinwangen gilt erst seit 1807 als eigene Pfarrei (Melchior Estermann, Geschichte der alten Pfarrei Hochdorf, des Johanniter-Ordenshauses Honrein sowie der Tochterpfarreien: Honrein, Wangen, Ballwil und Rein (Luzern 1891), S. 181 und Bruno Häfliger, Zur Geschichte der Pfarreien Hohenrain und Kleinwangen, in: 800 Jahre Hohenrain 1182-1982, S. 49 ff (Hohenrain 1982).
Übrigens übte Dekan Häfliger das Amt des Oberschulinspektors auch in den Jahren aus, als es in Ermensee um den Bau eines Schulhauses ging. Das waren die Jahre zwischen 1815 und 1820 (Josef Egli-Elmiger, Schulgeschichte der Gemeinde Ermensee 1799-1977, Festschrift zur Einweihung des neuen Schulhauses, 23. Oktober 1977, S. 5 ff).
3. Die damalige Volksschule
Wie es am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur obligatorischen Volksschule kam, ist in der Kantonsgeschichte von Frau Bossard-Borner nachzulesen. Verwiesen sei über dies auf das Buch „zweihundert Jahre Luzerner Volksschule 1798-1998″ von Paul Pfenniger. Aufschlussreich ist auch die schon genannte Dissertation Alois Häfligers).
4. Zwei Seetaler Lehrer aus der Entstehungszeit der drei Papiere
4.1 Hochdorf
Wikipedia hat einen Beitrag über den Hochdorf Dekan Jost Bernhard Häfliger. In diesem findet sich auch eine Passage über die damalige Volksschule in Hochdorf. Genannt wird Lehrer Fridolin Wyss, der nicht nur seine Schüler unterrichtete, sondern zusammen mit Dekan Häfliger auch seinen Lehrer-Kollegen Nachhilfeunterricht gab.
4.2 Ermensee
In Ermensee war damals Josefus, Vitalis, Desiderius, Bonifatius, Benediktus Winiger Lehrer, geboren 1788. Sein Rufname war Vitalis. Seine Ausbildung hatte er in St. Urban bei den Patres Nivard Krauer und Viktor Brunner gemacht (Mehr findet sich in der schon genannten „Schulgeschichte der Gemeinde Ermensee“.
5. Was geschieht mit den Blättern?
Ich übergebe die drei Blätter und diese Überlegungen dem Kulturverein Ermensee.
Hochdorf, 29. Juni 2024 und 3. August 2024;
Josef Egli-Egli